Gazette März 2020 | CURAVIVA Schweiz

6  |  Bildung gazette  |  März 2020 Praxisbeispiel 2 Mitreden beim Bau der Alters-WG Nahe beim Hauptbahnhof Zürich realisiert die Genossenschaft Kalkbreite die Siedlung «Zollhaus». Hier werden im November auch drei Alters-Wohngemeinschaften einziehen. Die künftigen Bewohnenden sind schon längst in den Planungsprozess eingebunden. Am Anfang stand die Idee, im «Zoll- haus» Wohnraum an ältere Menschen zu vermieten, damit diese neue Wohn- formen fürs Alter entwickeln können. Bereits beim Leuchtturmprojekt «Kalk- breite», wo heute rund 250 Menschen leben und arbeiten, hatte die Zürcher Wohnbaugenossenschaft auf Partizipa- tion gesetzt. Künftige Nutzerinnen und Nutzer konnten bei zentralen Themen mitreden. Diese Strategie wird nun auch bei den Alters-WGs im «Zollhaus» umgesetzt. Erfahrung weitergeben ImHerbst 2017 waren Interessierte erst- mals eingeladen, gemeinsam über zu- kunftsorientiertes Wohnen im Alter nachzudenken. Nun haben sich drei Ü-60-Wohngemeinschaftenmit insge- samt 13 Personen gebildet, welche im November 2020 in den Neubau ein­ ziehen werden. Im Auftrag der Age-Stiftung übernimmt Organisations­ entwickler Christoph Bertschinger die Aufgabe, den Prozess zusammen mit den Beteiligten zu evaluieren. Das Ziel: eine Langzeitstudie über gelingende und hindernde Bedingungen in der Ent- wicklung von neuen Wohnformen im Alter. Die erste von drei Phasen – die Zeit von der abstrakten WG-Idee bis zur Grup- penbildung – ist abgeschlossen und evaluiert. Unter anderem kristallisierte sich dabei heraus, dass viele Menschen im Alter zwar Gemeinschaftsräume, nicht jedoch ihr Badezimmer mit ande- ren Personen teilenmöchten. Aufgrund des Baufortschritts kann dieserWunsch im «Zollhaus» nur noch begrenzt um- gesetzt werden. Die Erkenntnis: Die speziellen Bedürfnisse der Ü60 sind im gemeinschaftlichen Wohnbau wenig bekannt und erprobt und es fehlt Erfah- rungswissen, das als Leitlinie beigezo- gen werden könnte. Im Idealfall sollte der Mitwirkungsprozess nicht wie beim «Zollhaus» erst in der Planungsphase, sondern bereits beim Ausformulieren des Wettbewerbsprogramms starten. Bessere Lösungen finden Für Bertschinger zeigt das Detail der in- dividuellen Badezimmer beispielhaft auf, dass gemeinsam entwickelte Lö- sungsideen oft zu besseren Ergebnis- sen führen. Dazu kommt: «Wer partizi- pieren kann, nimmt Einfluss, fühlt sich ernst genommen und identifiziert sich mit der Idee.» Partizipation funktionie- re jedoch nur dann, wenn die Entschei- dungsträger einen Teil der Vorschläge auch wirklich übernehmen. «Egal, ob wir von einemWohnbauprojekt oder ei- nem Jugendparlament sprechen: Wer mitdenkt, will auch mitgestalten. Mit pseudo-partizipativen Prozessen raubt man den Involvierten die Energie.» Beim Beispiel «Zollhaus» wurden auf Anregung der Arbeitsgruppenwomög- lich Individualzimmer vergrössert. Zen- tral ist für Bertschinger, der auch an der Höheren Fachschule für Gemeindeani- mation hfg doziert, dass zu Beginn je- des Prozesses klargemacht wird, wer in welchen Bereichen wieviel Entschei- dungsmacht hat. Mitdenken stärkt Und was bringt der Partizipationspro- zess den künftigen «Zollhaus»-Bewoh- nenden ganz konkret? Er sei überzeugt, dass die WGs ihr Zusammenleben bewusster reflektierten und besser gewappnet seien für das Leben im «Haifischbecken Zollhaus», wie es Bert- schinger nennt. «Dort ziehen auch jun- geMenschenmit ganz anderenVorstel- lungen ein. Die Ü60 müssen zu ihren Bedürfnissen stehen und das Zusam- menleben aushandeln können.» www.kalkbreite.net Astrid Bossert Meier

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