Gazette März 2020 | CURAVIVA Schweiz

Bildung gazette  |  März 2020  |  3 Unser Thema > Fortsetzung von Seite 1 gründete ich den Jugendrat Thalwil, das erste Jugendpar- lament im Kanton Zürich. Urs Franzini: Ich verbinde das Wort spontan mit der Erziehung unserer beiden Söhne. Schon als kleine Men- schen stellten sie den be- rechtigten Anspruch, selbst- ständig zu werden. Diesen Prozess altersgerecht zu be- gleiten, war herausfordernd. Partizipation muss gelernt werden. Man muss heraus- finden, wo man mitreden will. Und man erfährt, dass andere auch mitreden wol- len. Heute sind unsere Söhne erwachsen. Doch der Prozess von einfordern, verhandeln, Lösungen finden, auch mal nachgeben, läuft natürlich weiter. Rahel El-Maawi: Es stimmt, Partizipation muss gelernt werden – und zwar von zwei Seiten her. Es ist anspruchs- voll, herauszufinden,was ich will. Oft ist es einfacher, sich an eine gewisse Autorität anzulehnen, als selber zu entscheiden. Der Philosoph Hanspeter Bieri verwendet die Formulierung von «sich in sich selber auskennen». Partizipation muss aber auch von jenen gelernt werden, die mehr Macht ha- ben undTeilhabe ermöglichen können. ImBeispiel von Urs Franzini sind es die Eltern, welche die Kinder dort mitreden lassen, wo sie betroffen sind. Was bringt es, Menschen in Entscheidungsprozesse einzubinden? Rahel El-Maawi: Selbstbestimmung fördert das Selbst- vertrauen. Ausserdem stärkt Partizipation die Identi- fikation mit dem grossen Ganzen.Wenn ich beispiels- weise die Regeln inmeiner Schulemitbestimmen darf, identifiziere ich mich mit dieser Schule. Die Regeln werden zu meinen Regeln, selbst wenn ich nicht alle gut finde. Aber durch den Aushandlungsprozess kann ich nachvollziehen, wie sie entstanden sind und warum sie für andere wichtig sind. Wie würden Sie den Begriff Partizipation definieren? Urs Franzini: Partizipation ist ein Menschenrecht. Alle Menschen sollen autonom und selbstbestimmt am Leben teilhaben können. Der Heilpädagoge Georg Theunissen beschreibt Selbstbestimmung als eigen- verantwortliches Entscheiden und autonomes Han- deln in der Beziehung zum Du. Einerseits geht es also um Selbstbestimmung. Andererseits geht es darum, auch die Bedürfnisse des Gegenübers zu berücksich- tigen. Rahel El-Maawi: Ich halte mich gern an die Definition von Erwin Carigiet, welche wir in der Soziokultur verwenden. Diese beschreibt Partizipation mit der Teilnahme an Handlungsabläufen und Entschei- dungsabläufen in übergeordneten Strukturen und Or- ganisationen. Das bedeutet, ich kann mitreden, un­ abhängig davon, ob ich «be-hindert» oder «nicht be-hindert» bin, ob ich ein Kind oder erwachsen bin. Relevant ist, dass meine Bedürfnisse nicht «ver-hin- dert» werden, sondern ins Ganze einfliessen und die- ses mitbestimmen. Sie sprechen von Teilnehmen und Teilhaben. Ist das nicht dasselbe? Rahel El-Maawi: Teilnahme ist der Prozess des Mitbe- stimmens. Teilhabe heisst, an materiellen und imma- teriellen Gütern teilzuhaben. Es ist wichtig, dass man Rahel El-Maawi ist Soziokulturelle Animatorin FH. Sie arbeitet als Lehrbeauftragte an der Höheren Fachschule für Gemeindeanima­ tion hfg sowie an verschiedenen Hochschulen und begleitet Or­ ganisationen in Fragen interkultu- reller Öffnung und Gleichstellung. Urs Franzini ist Berufs- und Er- wachsenenbildner FH und arbeitet heute unter anderem als neben- amtlicher Dozent an der Höheren Fachschule für Sozialpädagogik Luzern hsl.

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