Gazette März 2020 | CURAVIVA Schweiz

8  |  Bildung gazette  |  März 2020 Unser Thema Praxisbeispiel 4 Soziokultur im Altersheim «Freiwilligenarbeit und Soziokultur» ist imWohnheim Mühlehalde als eigenständiger Fachbereich verankert. Das Ziel: Partizipation und Autonomie der sehbehinderten und blinden Bewohnenden fördern. Basis ist eine durchdachte Informationsstrategie. ImZürcher Alters- und PflegeheimMüh- lehalde leben vor allem sehbehinderte und blinde Menschen. Hier arbeitet Severin Liechti mit einem 60-Prozent-Pensum. Er ist jedoch weder Pflege- noch Aktivierungsfachmann, sondern soziokultureller Animator. Als Leiter des Bereichs Soziokultur hat er den Auftrag, «die Autonomie der Bewohnenden zu fördern, Partizipation zu ermöglichen, das Haus zu öffnen und ins Quartier einzubinden und die Öffentlichkeit für die Bereiche Sehbehinderung und Alter zu sensibilisieren». Um diese Ziele zu erreichen, arbeitet er auch mit Freiwil- ligen zusammen; ausserdem steht ihm eine Praktikantin zur Seite. Partizipation bedeutet Aufwand Teilhabe ist für Severin Liechti wichtig. «Wer partizipiert, kommt mit anderen Menschen in Kontakt, es entsteht Ge- meinschaft und ein Gefühl von Sinn- haftigkeit.» Selbstverwirklichung als oberste Stufe der Partizipation sei für Menschenmit Sinnesbeeinträchtigung und Altersgebrechen schwer zu errei- chen. Erreichbar sei hingegen die erste Stufe der Partizipation, die Information. «Alle unsere Bewohnenden sollen die Chance erhalten, Informationen aufzu- nehmen und zu verstehen», sagt er. Ist das keine Selbstverständlichkeit? Der soziokulturelle Animator beantwortet die Frage mit einem Beispiel: «Man möchte ein Projekt starten und fragt gezielt nur gewisse Personen an, ande- re jedoch nicht, weil das der einfachste Weg ist. Das passiert in Institutionen leider tagtäglich.» Deshalb hält Severin Liechti ein waches Auge darauf, wie in der «Mühlehalde» kommuniziert wird. Das hausinterne Informationskonzept setzt auf unterschiedliche Kommunika- tionswege. Das Tagesprogramm bei- spielsweise wird schriftlich abgegeben, ausgehängt, kann per Telefon abgehört werden und wird beim Frühstück und Mittagessen via Mikrofon vorgelesen. Mit der Information allein ist es aller- dings nicht getan. «Wer informiert ist, hat Fragen.Manchmal ergeben sich da- durch neue Probleme, die gelöst wer- den müssen.» Bewohnende vermehrt partizipieren zu lassen, sei mit Aufwand verbunden, so Liechti. «Doch wenn ich die Leute dazu aufrufe, teilzuhaben, ist es meine Aufgabe, sie auch bei der Um- setzung ihrer Anliegen zu unterstüt- zen.» Mehr Mitsprache im Haus In den letzten Jahren wurden in der «Mühlehalde» verschiedene partizipa- tive Projekte umgesetzt. Besondere Auf- merksamkeit schenkt Severin Liechti dabei der Vernetzung gegen aussen. So entstand die Idee des längsten Schals von Zürich. Strickerinnen der «Mühle- halde» haben sich mit jenen aus dem Quartier zusammengetan und gemein- sam einen 165 Meter langen Schal ge- strickt. Anschliessend wurde «der längste Schal von Zürich» auseinander- geschnitten und den Pfarrer-Sie- ber-Werken geschenkt, umObdachlose zu wärmen. Der soziokulturelle Animator strebt auch hausintern mehr Partizipation an. Gerade ist er dabei, den Bewohnenden- rat zu reaktivieren, der in den letzten Jahren brachlag. Die Idee wird von der neuen Heimleitung unterstützt, eine freiwillige Mitarbeitende übernimmt die Koordination der Gruppe. «Alle Menschen haben das Bedürfnis, ihr Le- bensumfeld zu gestalten», sagt Severin Liechti. «Unsere Aufgabe ist es, sie darin zu unterstützen – selbst wenn sie be- tagt, seh- oder mehrfachbehindert sind.» www.muehlehalde.ch Astrid Bossert Meier

RkJQdWJsaXNoZXIy NDQzMjY=