Gazette März 2020 | CURAVIVA Schweiz
12 | Bildung gazette | März 2020 Der Tag ist grau, Regen nieselt auf die Berner Altstadt. Das Wetter ist es also nicht, das die Menschen aus dem Haus lockt. Ein Angebot irgendwo im Warmen muss es sein. Für diejenigen, die ein Ticket ergattert haben, ist es der perfekte Tag für einenTheaterbesuch im renommierten «Schlachthaus». Allerdings fährt das Publikum nicht im Audi oder Toyota vor, sondern im Litetrax 4 Air oder Stokke: im Kinderwagen. Die Aufführung Icilà (oder zu Deutsch Hierda) haben sich die jungen Besucher und Besucherinnen im Alter von bis zu drei Jahren auch nicht selbst ausgesucht, son- dern ihre Eltern. Eine davon, Géraldine Bösch, ist so- ebenmit der eineinhalbjährigenMaude beimTheater angekommen und hilft ihrer Tochter aus dem Buggy. Die 31-jährige Stadtbernerin freut sich auf den Thea- terbesuch. «Die Erfahrung mit Klängen, die die Vor- stellung verspricht, hat mich persönlich sehr ange- sprochen», sagt sie. «Und das Ganze mit anderen Kleinkindern zu erleben, umso mehr.» Maude ist kei- nesfalls abgeneigt. Kaum aus dem Buggy, steuert sie auf die offene Theatertür zu. Im Foyer sammeln sich weitere Besucher und Besu- cherinnen, weitere Kinderwagen werden im Trocke- nen geparkt.Wo man an anderen Tagen und zu ande- ren Zeiten bei einem Glas Wein an der Bar über das Leben philosophiert und internationale Theaterpro- Kultur für die Kleinsten Im Theaterstück Icilà verzaubert der Künstler Benoît Sicat Geräusche zu Klangwelten. Und das für ein Publikum unter drei Jahren. duktionen abhandelt,werden an diesemSonntagmor- gen alkoholfreie Alternativen über die Theke gereicht. Die kleine Maude sitzt auf dem Schoss ihrer Mutter und staunt, was um sie herum passiert. Jede Vorstellung anders An einer internationalen Produktion fehlt es mit Icilà nicht. ImKellergewölbe, demheutigen Schauplatz der Performance, steht der französische Künstler Benoît Sicat und prüft die Resonanz des Raumes. Seit 18 Jah- ren erarbeitet er Performances für die Kleinsten. Er läuft um die Matten am Boden, die nicht nummerier- ten Sitze der heutigenVorstellung, klopft sich an Kehl- kopf und Brust und lässt Klänge im noch leeren Raum verhallen. «Die Resonanz des jeweiligen Raumes aus- zutesten, ist die einzige Vorbereitungsmöglichkeit», erklärt er. «Jede Vorstellung ist ganz eng mit dem je- weiligen Publikum verknüpft, es entsteht immer et- was Neues.» Die Improvisation liegt dem Künstler. Er schätze die Vorstellungen für Kleinkinder sehr, ihre Aufmerksamkeit sei noch nicht gebündelt wie bei Er- wachsenen, sondern überall. Diese zu gewinnen, Re- aktionen aufzunehmen und in die Vorstellung einzu- bauen, ist eine Herausforderung, der sich Sicat gerne stellt. Anregende Stille Das Trippeln kleiner Füsse auf der Kellertreppe lässt den Künstler innehalten. Er wirkt konzentriert, lächelt die jungen Besucher freundlich an. Auch Maude und Géraldine streifen ihre Schuhe ab und suchen sich ei- nen Platz auf einer der Matten. Die Vorstellung ist ausgebucht, der Raum wirkt aber nicht überfüllt. Benoît Sicat nutzt vorhandenen Platz gern. Es wird ruhig. In dieser vermeintlichen Stille nimmt er ein «Der Rahmen wurde wirklich für Kleinkinder gestaltet.» Géraldine Bösch, Besucherin
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