Gazette Dezember 2019 | CURAVIVA Bildung
6 | Bildung gazette | Dezember 2019 Sie haben selber Nacht arbeit geleistet. Wie blicken Sie darauf zurück? Die Atmosphäre hat mir im- mer zugesagt. Insbesondere gefiel mir, dass ich nachts gezielt auf die Bedürfnisse der einzelnenPersoneneinge- hen konnte. Zum Beispiel je- manden mit demenzieller Erkrankung zu begleiten, Ge- spräche mit wachen Bewoh- nenden zu führen und vieles mehr. Provokant formuliert: Während der Nachtwache ist man müde und auf sich gestellt. Stimmt dieser Eindruck nicht? Das Hormon Melatonin spielt beimTag-Nacht-Rhyth- mus eine zentrale Rolle. Vereinfacht ausgedrückt macht es müde und sorgt dafür, dass wir rechtzeitig zu Bett gehen. Durch die Schlafforschung ist bekannt, dass der Melatoninspiegel am Abend steigt und ge- gen Morgen – wenn es heller wird – wieder sinkt. Zwischen ein und drei Uhr früh ist der Spiegel am höchsten. Eine professionelle Nachtwache kann ler- nen, mit dieser Tatsache umzugehen. Vorschlafen ist erfahrungsgemäss oftmals nicht möglich. Grundsätzlich: Mögen Menschen, die nachts arbeiten, ihren Job? Oder ist Unzufriedenheit verbreiteter als bei der Tagarbeit? Unzufriedenheit ist nicht verbreiteter. Wer sich für dieses Modell entschieden hat, tat es bewusst. Daraus ergeben sich Möglichkeiten, die zur aktuellen Lebens- situation passen. Ich denke insbesondere an die Orga- nisation der Familie. Gibt es den oder die typische Nachtarbeiter/in? Die Institutionen entscheiden, ob sie mit reinen Nachtwacheteams funktionieren oder mit Angestell- ten aus allen Diensten. Die verschiedenen Ar beitszeitmodelle bieten Möglichkeiten, unterschiedli- che Lebensphasen und entsprechende Bedürfnisse zu berücksichtigen. Welche Kompetenzen sind für die Nachtwache nötig? Wichtig ist die Fähigkeit, sich selbständig zu organi- sieren und flexibel zu sein. Zur Nachtarbeit gehören anforderungsreiche Situationen. Der erhöhte Mela- toninspiegel führt gemäss Schlafforschung zu mehr Ängstlichkeit. Bewohner und Bewohnerinnen können unsicherer und fragiler reagieren. Hier sind Professio- nalität und Empathie gefragt. Mitarbeitende der Nachtwache benötigen überdies Kenntnisse über Konzepte, Bewältigungsstrategien oder die Bedeu- tung von Ritualen. Was verlangt einem die Nachtwache gesundheitlich und bezüglich sozialer Kontakte ab? In dieser anspruchsvollen Aufgabe ist es wichtig, dass jede Person, die Nachtwache macht, zur eigenen Ge- sundheit und zum sozialen Umfeld Sorge trägt. Dazu muss der eigene Biorhythmus bekannt sein. Eine be- deutende Rolle kommt zudem Führungspersonen zu: Mit einer gesundheitsfördernden Haltung im Betrieb, einem gemeinsamen Pflegeverständnis und gemein- samen Besprechungen leisten sie einenwesentlichen Beitrag zum Thema Gesundheit. Klingt vernünftig. Funktioniert es in der Praxis? Der Auftrag ist klar. Ein professionelles Rollenver- ständnis bedingt das gemeinsame Übernehmen der Verantwortung. Gefragt ist die Fähigkeit, Grenzen und Problemstellungen zu erkennen, zu benennen und Lösungen gemeinsam zu entwickeln. Was ist nötig, damit Personen ihren Job sorgenfrei ausüben können? Eine gute Work-Life-Balance ist zentral. Gesundheits- förderung ist eine gemeinsame Aufgabe – hier sind die Organisation und das Individuum gefordert, Ver- antwortung zu übernehmen. Viele Häuser bieten übergreifende Supervisionen an und planen Teamsit- zungen so, dass die Nachtwache ebenfalls teilnehmen kann. «Eine gute Work-Life-Balance ist zentral.» Petra Herger hat einen Kurs für Menschen konzipiert, die Nachtwache machen. Im Gespräch sagt sie, worauf bei dieser Arbeit zu achten ist. «Nachtwache hat etwas sehr Intimes» Petra Herger ist Bildungs beauftragte Pflege und Betreuung bei CURAVIVAWeiterbildung.
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